Montag, 17. Mai 2010

Flammkuchen über Bord

"Herbeeeert! Heeeeeeeeeeeerbeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeert!!!"
Pauline schrie sich die Kehle aus dem Leib.

Das war aber auch zu blöd! Herbert, ihr Mann war über die Reeling gekippt. Und alles nur, weil von Pauline's Flammkuchen ein Stück an der Außenseite der Reeling hing und er es - über die Reeling gebeugt - wegwischen wollte.

Nun trieb er im Wasser, kaum noch zu sehen und paddelte wild mit den Armen um sich.
Pauline lief die Reeling verzweifelt auf und ab. Was sollte sie nur tun? Die Rettungsringe waren beim nachmittäglichen Hula Hupp-Wettbewerb zweckentfremdet und schließlich abhanden gekommen.

Ihr heißgeliebter dampfender Flammkuchen, den sie noch schnell beim abendlichen Büffet für den Mitternachtsimbiss stibitzte, hing schlaff und öltriefend herunter.
Sie warf ihn weit über die Reeling Richtung Herbert, damit er, wenn er schon alleine auf offener See trieb, wenigstens noch etwas zu essen hatte und nicht verhungern mußte.
Herbert hingegen wedelte und paddelte weiter tapfer mit den Armen um sich. Was tun?
Das Schiff, unerreichbar und immer weiter weg, würde er nicht wiedersehen.

Währenddessen zog ein einsamer Thunfisch seiner Wege. Er hatte vor einigen Tagen seinen Schwarm verloren und trauerte immer noch seinen Freunden hinterher. Zu blöd aber auch, daß er, kurzsichtig wie er nun mal war, einem schicken Haimädchen von weitem hübsche Augen machte und sich von den Seinigen entfernte. Sie sah aber auch zum Anbeißen aus, wie sie mit ihrem graziösen Flossenschlag durch's Meer schwamm!

Aus der Nähe entpuppte sich die junge Dame allerdings als recht bissiges Biest - und der Thunfisch hatte Glück im Unglück, daß er noch mit einer zerfledderten Flosse davonkam.
Nun sank direkt vor seinen Augen etwas Öliges ins Meer hinab. Und da ein Thunfisch nun mal gerne in Öl schwimmt (und nicht im eigenen Saft, igitt!), rieb er sich genüßlich mit dem lecker duftenden Häppchen ein. Dann sank es weiter ins Meer hinab und verschwand in der Dunkelheit.

Herbert hingegen, immer noch prustend und schnaufend mit den Armen wedelnd, hatte ebenfalls Glück im Unglück. Am Nachmittag, als ausgelassen der Hula Hupp-Wettbewerb gefeiert wurde, warf die Stimmungskanone Hildegard eine aufgepustete Plastikinsel über Bord. Diese trieb nun einsam an Herbert vorbei. Sofort ergriff er seine Chance und rettete sich auf die Insel. Wenn er jetzt noch eine warme Decke und was zu essen hätte...

Pauline hingegen klagte schluchzend ihr Leid dem Schiffsarzt Dr. Hansen. Natürlich war die gesamte Schiffscrew bereits auf den Beinen, um Herbert wieder an Bord zu holen. Das Meer wurde mit Scheinwerfern abgeleuchtet und von den Gästen Wetten abgeschlossen, wann und ob Herbert überhaupt wieder gefunden werden würde.

Inzwischen war das Stück Flammkuchen auf dem Meeresboden angekommen. Eine dicke Krabbe tänzelte neugierig auf das schlabbernde, aufgequollene Etwas zu. Sie schnappte danach. Durch die Bewegung der Krabbe wirbelte das Stück ein wenig nach oben. Sie schnappte nochmal danach. Es wurde weiter nach oben gewirbelt. >>Das gibt's doch nicht!<< dachte sich die Krabbe verärgert. Sie schnappte wieder danach - erfolglos. Und so ging es die ganze Zeit weiter, immer höher und höher.

Der kurzsichtige Thunfisch, leicht triefend und nach Öl und Schmand duftend, zog seine einsamen Kreise im Meer, als er vor sich ein rundes Ding mit einem wedelnden Stück irgendwas vor sich schwimmen sah. Neugierig schwamm er näher. Und was er da sah, erfreute sein kleines Thunfischherz, sodaß es gleich ein wenig schneller schlug. Ein lecker Häppchen spielte mit einem undefinierbaren flatternden Stück. Er schnappte nach dem runden Häppchen, das ihn leider zu spät bemerkt hatte, da es so vertieft in sein "Spiel" war. Krack! machte es. Hart war die Kruste. Der Thunfisch hatte mit diesem harten Tierchen seine Last... und verschluckte sich an einem Stück seines Panzers. Zu seinem Pech so sehr, daß er das Zeitliche segnete. Nun trieb er an die Oberfläche, während das Stück zerfledderter Flammkuchen, oder was davon übrig blieb, auf seinem Rücken Platz nahm und mit ihm zusammen an die Oberfläche des Meeres trieb.

Nicht weit entfernt vom Unglücksort saß Herbert, naß und zitternd, auf seiner einsamen Insel. Kein Licht weit und breit und ein wolkenbehangener Himmel. Man konnte noch nicht mal Sterne und den Mond sehen. Was hatte Pauline noch vor der Abreise gesagt?
"Herbert, wir gönnen uns jetzt mal was! Endlich richtiger Urlaub. Nicht das ewige Wohnwagenleben. Wir lassen uns so richtig verwöhnen." Ja, toll war's! Pauline saß morgens, mittags und abends im Restaurant, denn es war ja "all inclusive" und Herbert wurde vom Tischnachbarn Fritz unterhalten! Dessen Frau Elli teilte mit Pauline die Ansicht, wenn schon all inclusive gebucht wird, dann muß man es auch ausnutzen! Und dann dieser schreckliche Flammkuchen, den Pauline so liebte! Jeden zweiten Abend gab es original Flammkuchen aus der Heimat, denn die Gäste sollten sich ja wohlfühlen. Herbert mochte keinen Flammkuchen.

Still war es, nur das Gluckern der Wellen, die gegen die Plastikinsel leicht schlugen, das Rauschen, der Wind, kein Lärm, frische Luft. Für den Moment genoß Herbert diese glückselige Ruhe, diesen Frieden, der auf See zu herrschen schien. Für den Moment vergaß er sogar die mißliche Lage, in der er sich befand. Eine besonders vorwitzige Welle, höher als die anderen, knallte gegen die Insel und beförderte etwas glitschiges auf dieselbe. Als Herbert es bemerkte, zog er die Augenbrauen hoch. Ein toter Fisch und ein matschiges Stück undefinierbarer Brei auf dessen Rücken lagen vor ihm.

Nachdenklich sah Herbert auf den Fisch...

Tuuuuuuuuuuuuuuuut! Tuuuuuuuuuuuuuuuuuut!

Erschrocken hob er den Kopf. War das zu fassen??? Sie hatten ihn gefunden. Ihn in diesem großen Meer, zitternd auf seiner Plastikinsel, neben sich ein toter Fisch, an dessen Rücken langsam der undefinierbare Brei runterrutschte.

Herbert war gerettet! Er wurde an Bord geholt.

Die Plastikinsel samt Fisch und Brei schwomm von dannen und ward nie wieder gesehen.

Was ein kleines Stück Flammkuchen doch so alles anrichten kann...